Frankfurter Allgemeine Zeitung | Norbert Krampf | review | 22 February 2001 | German
Tibor Szemzős hypnotisierende Multimedia-Performance im Frankfurt Wenn Tibor Szemzö aus Budapest auf die Bühne geht, sprengt er sogleich den Rahmen eines gewöhnlichen Konzerts. Seit beinahe 20 Jahren strebt der 1955 geborene Künstler danach, Genre-Grenzen zu überschreiten. Lange schon rbeitet Szemzö dafür mit der flexiblen, je nach Bedarf kammermusikalischen oder orchestralen Formation “The gordian knot”. Dort treffen sich virtuose Musiker, die eine Polka ebenso stilsicher ironisieren, wie sie Klassik oder elektronischen Rock individuell interpetieren. Allein diese musikalische Bandbreite wäre abendfüllend, doch Szemzös multimediale Konzepte bieten mehr.
“Cuba” versetzt das Publikum im Mousonturm kurzerhand vom Theater- in einen Kinosaal. Grobkörnige Super-8-Filmbilder zucken schwarzweiß über die Leinsern zu alten Autos, illustrieren den alltäglichen, ästhetischen Zerfall Havannas. Dazwischen schneidet Szemzö Szenen mit urbanem Gewimmel und ruhige Porträts. Nach einiger Zeit kommt aus dem Nichts eine archaische, extrem reduzierte Volksmusik. Weitere Minuten später fügen sich endlich zwei Musiker von “Gordian knot” in dieses Tableau ein, bereichern die hypnotischen Wiedarholungen der Folklore mit Schlagzeugrhythmen und scharf phrasierten Gitarrenakkorden. Der Kontrabaß setzt eintönig ein, Keyboards und Szemzös Baßflöte schillern in schwebenden. kontemplativen. Tönen. Sie schaffen eine mystische Atmosphare, kontrastiert von einem weiteren traditionellen Lied aus dem Film. Dann raunt Szemzti beinahe lakonisch den Text des Songs als zweite Stimme mit.
Kaum hat sich der Hórer an die nuancierte Feinarbeit gewóhnt, schreckt die Band mit massiven Bass-Attacken, digitalem Rauschen, Nachrichtenfetzen und metallisch-klirrenden Gitarrensplittern auf. Ein verschachtelter Beat walzt sich trage und sengend wie Lava in den Saal. Statt bizarr zu ersta rren, glattet er sich und endet als infizierende Aufforderung zum Tanz. Auch im folgenden, japanisch inspirierten Werk “The Other Shore” gehen verfremdete Filmsequenzen, vor Ort aufgenommene ; Originalmusik und raffinierte, mit Pausen und digitalen Sounds gespickte Live-Passagen eine spannende Einheit ein. Grummelnde Kehlkopf-Litaneien buddhistischer Mönche vermischen sich mit irrlichternden Baßläufen, wohligen Moll-Harmonien und gęsprochenen Texten.
Meisterhaft verdichtet das Quartett surreale Bilder, beinahe groteske Konservenklänge und inimalistisches, brillant akzentuiertes Handwerk, ohne die Arrangements zu überladen. Bei aller akribischen Organisation von Bild und Ton in vielen Schichten, die sich teilweise abschatten oder ganz verdecken, bleibt das Gesamtkunstwerk stets gefühlvoll und lebendig.
Nach der Pause wächst das Quartett um einen Geiger, der zeitweise auch sparsame Klavier- oder Orgelphrasen einwirft. Auf flauschigen, gern mit struppigen Fäden durchsetzten Klangteppichen rezitiert Szemzös sonores Timbre Texte des ungarisćhen Philosophen und Poeten Bela Hamvas. Dessen unheilvolle Szenarien, gesellschaftskritischen Visionen und aufblitzenden Hoffnungsschimmer lieferten Szemzö auch Vorlagen zur Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit im einstigen Sozialismus. Projektionen der Kernsätze machen die ungarischen Worte der Unsichtbaren Geschichte verständlich weit mehr als sie bannt indes die sublime Botschaft der lauernden, dynamischen Musik. Sie scheint stets auf dem Sprung, auf ihren Höhepunkten laden stolpernde Takte, durchdringende Gitarrenschreie und rauhe Klavierakkorde , Szemzös Sprechgesang und die knisternde Atmosphäre mit elektrisierender Energie auf.
Norbert Krampf